Ralph Gadow

Diplom-Biologe · Immunbiologe
Heilpraktiker · Diplom-Akupunkteur

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Mikrobiologie · Genetik
Biochemie · Neurobiologie

Das Reizdarmsyndrom - Schulmedizinischer Wissensstand

Nov 29, 2017

Kaum eine andere Krankheit ist so häufig Anlass für Patienten, den Arzt aufzusuchen, wie das Reizdarmsyndrom. Diese Patienten leiden unter vielfältigen Symptomen, die im Alltag stark beeinträchtigen. Ganz im Gegensatz zu dem quälenden Ausmaß der Beschwerden, scheinen die Ergebnisse der ärztlichen Diagnostik zu stehen. Hier ist typischerweise nämlich "alles in Ordnung". Sowohl die Blutuntersuchungen, die Ultraschalldiagnostik als auch Darm- oder Magenspiegelung sind beim Reizdarm-Syndrom vollständig unauffällig.


Gibt es eine Untersuchung, die das Reizdarmsyndrom beweist?

Untersuchungsergebnisse, die sicher auf ein Reizdarmsyndrom hinweisen oder es andererseits ausschließen können gibt es nicht. Wir können heute davon ausgehen, dass das Reizdarm-Syndrom eine Störung eines organisch gesunden Verdauungsapparates ist. Die Diagnose eines Reizdarm-Syndroms darf gestellt werden, wenn die typische Symptomatik über einen längeren Zeitraum besteht und gleichzeitig eine organische Ursache der Beschwerden ausgeschlossen wurde.


Häufigkeit

Der Reizdarm oder das Reizdarmsyndrom (RDS), englisch: irritable bowl syndrome (IBS), ist eine häufige Erkrankung. Man schätzt, dass zwischen 6,6-25% (!) der Bevölkerung darunter leiden. Beim Gastroenterologen (Magen-Darm-Spezialist) fallen zwischen 40-60% aller Patienten unter diese Diagnose. Frauen sind häufiger betroffen. Allerdings gehen die Schätzungen auseinander: zwischen 1,1- bis 2,6-mal häufiger litten sie unter Reizdarm. Die Mehrzahl der Patienten hat sich mit der Erkrankung abgefunden, bzw. hofft nicht auf ärztliche Hilfe. Nur 20% suchen einen Arzt wegen der Beschwerden auf.


Beschwerdebild und Ursachen

Unter einem Reizdarmsyndrom versteht man den Patienten belastende und vom Darm ausgehende chronische Bauchbeschwerden, die nicht durch Veränderungen erklärt werden, welche für andere Krankheitsbilder charakteristisch sind. Im Einzelnen leiden Patienten mit Reizdarmsyndrom unter Schmerzen und/oder einem unangenehmen Gefühl im Bauch, wobei die Beschwerden im Unterschied zur funktionellen Dyspepsie nicht im Oberbauch bestehen oder sich zumindest nicht auf den Oberbauch beschränken. Außerdem haben die Patienten meist Stuhlgangsauffälligkeiten, das heißt Durchfall oder Verstopfung oder auch einen Wechsel zwischen beiden und sehr häufig Blähungen. Typisch, aber nicht für alle Patienten zutreffend ist, dass die Beschwerden durch Stuhlentleerung gelindert werden.


Die Symptome können bei den Patienten gleichmäßig bestehen oder in Abständen wiederkehren. Auf lange Sicht kommt es pro Jahr bei etwa 10 % der Patienten zur Rückbildung der Beschwerden, nur ein kleiner Teil hat dauerhaft Symptome. Das Reizdarmsyndrom ist auch für diejenigen Patienten, bei denen die Beschwerden bestehen bleiben, nicht gefährlich im Sinne einer Verkürzung der Lebenszeit, kann aber die Lebensqualität wesentlich beeinträchtigen.


Die Entstehung der Reizdarmbeschwerden ist nicht eindeutig geklärt. Es ist aber bekannt, dass Menschen mit Reizdarmsyndrom veränderte Bewegungsmuster des Darmes aufweisen und Reize aus dem Darm vermehrt wahrnehmen. Vielfach besteht eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber einer Dehnung der Darmwand durch Darmgase oder flüssigen Darminhalt bzw. Stuhl. Weshalb es zu diesen Funktionsstörungen kommt, ist ebenfalls noch nicht vollständig geklärt. Man weiß, dass das Reizdarmsyndrom keine infektiöse Erkrankung ist, das heißt nicht von einem Infektionserreger übertragen wird. Bei etwa einem Drittel der Patienten entsteht es aber im Anschluss an einen Magen-Darm-Infekt (sog. postinfektiöses Reizdarmsyndrom).


Bei einem Teil dieser Patienten lassen sich mit wissenschaftlichen Methoden geringe entzündliche Veränderungen der Darmschleimhaut nachweisen, die neuen Untersuchungen zufolge vermutlich einen wesentlichen Einfluss auf die Entstehung der Beschwerden haben. Andererseits ist die Wahrscheinlichkeit, nach einem Magen-Darm-Infekt einen Reizdarm zu entwickeln, besonders hoch bei Menschen, die sehr besorgt oder ängstlich sind. Diese beachten die Missempfindungen während und nach dem Infekt möglicherweise stärker. Für die Entstehung des Reizdarmsyndroms können also komplizierte Wechselwirkungen zwischen geringen entzündlichen Veränderungen des Darmes, Funktionsstörungen des Darmes und psychologischen Prozessen von Bedeutung sein.


Reizdarmsyndrom und Psyche

Das Reizdarmsyndrom ist keine psychische Erkrankung. Gleichwohl spielen psychische Faktoren für Beginn und Verlauf eine wichtige Rolle. Stressfaktoren führen häufig zu einer erheblichen Beschwerdezunahme. Insbesondere scheinen belastende Lebensumstände das Auftreten von Reizdarm-Symptomen stark zu begünstigen. Darüber hinaus treten recht häufig Depressionen und Angststörungen gemeinsam mit dem Reizdarmsyndrom auf.


Reizdarmsyndrom und Fehlfunktion der Nervenzellen

Die Symptome werden nicht durch eine fassbare Schädigung der Bauchorgane hervorgerufen, sondern durch eine Fehlfunktion der Nervenzellen, die sich zahlreich im Bereich des Bauches finden. Sie signalisieren dem Gehirn Schmerzen oder Funktionsstörungen, führen damit zu den häufig unerträglichen Beschwerden und stören so ihrerseits die gesunde Funktionsfähigkeit der Bauchorgane.


Reizdarmsyndrom und Veränderung der Wahrnehmung

Für die Beschwerden selbst ist offensichtlich ausschlaggebend, wie sie durch unser Bewusstsein verarbeitet werden. Unser Gehirn filtert die vielerlei Wahrnehmungen, die es ständig erreichen so aus, dass unser Bewusstsein nicht durch Informationen überflutet wird. In aller Regel werden die Verdauungsvorgänge selbst kaum registriert, obwohl hierfür entsprechende Nervenstränge angelegt sind. Offensichtlich haben die meisten Menschen gelernt, diese Signale nicht wahrzunehmen. Die charakteristische "Überempfindlichkeit" der Nervenzellen des Magen-Darmtraktes beim Reizdarm-Syndrom führt dazu, dass selbst Vorgänge, die zur normalen Darmtätigkeit gehören, als Beschwerden empfunden werden können.


Allgemeinmaßnahmen bei Reizdarm

Zu den wichtigen Allgemeinmaßnahmen gehört die Suche nach den auslösenden und vermeidbaren Faktoren, wie z. B. Stresssituationen und bestimmte Nahrungsmittel. Neben dem Verzicht auf Nahrungsmittel, die individuell schlecht vertragen werden, sind auch allgemeine diätetische Maßnahmen mit Verzicht auf übermäßigen Genuss von Koffein, Alkohol oder Tabak sinnvoll. Auch Hülsenfrüchte und Zwiebeln sowie sehr fett- oder ballaststoffreiche Nahrungsmittel können bevorzugt Reizdarmbeschwerden verursachen bzw. verschlimmern.


Die Abgrenzung einer Milchzuckerunverträglichkeit vom Reizdarmsyndrom ist schwierig. Einerseits ist die Milchzuckerunverträglichkeit ein eigenständiges Krankheitsbild, bei dem es zu Blähungen, Durchfall und Bauchschmerzen kommt, weil Milchzucker nicht ausreichend verdaut und aufgenommen werden kann. Dies betrifft etwa 15 % bis 20 % der Erwachsenen in Deutschland und kommt in südeuropäischen und asiatischen Ländern noch wesentlich häufiger vor.


Andererseits scheint es so zu sein, dass Reizdarmpatienten empfindlicher als andere auf eine eingeschränkte Verdauung von Milchzucker reagieren. Hinzu kommt, dass eine Milchunverträglichkeit nicht nur auf einer Fehlverdauung des Milchzuckers beruhen kann, sondern auch auf einer Unverträglichkeit gegenüber dem Milcheiweiß. Diese Möglichkeiten sollte bei Patienten mit entsprechenden Beschwerden, die nicht auf einfache Maßnahmen reagieren, geprüft werden. Ähnliches gilt für die mangelnde Aufnahme und Unverträglichkeit von Fruchtzucker und / oder Sorbit (Zuckeraustauschstoff), die man bei Reizdarmpatienten ebenfalls häufiger findet als bei Gesunden.